Erinnerungen können trügerisch sein. Das weiß jeder, der einmal mit seinem Partner über eine länger zurückliegende Begebenheit sprach und verblüfft feststellen musste, dass dieser dieselbe vollkommen anders erinnert. Da lag das bezaubernde Ristorante beispielsweise nicht am Gardasee, sondern am Lago Maggiore, der Wirt hieß nicht Luigi, sondern Salvatore und fabelhaft waren nicht etwa die Spaghetti Carbonara, sondern die Pizza Napoli. Ich für meinen Teil kann mit solchen Diskrepanzen unaufgeregt und souverän umgehen, weiß ich doch: Meine Erinnerung ist richtig. Es sei denn, es existieren Beweisfotos. Da zeigt sich vielleicht der heiß geliebte Sprössling auf sämtlichen toskanischen Urlaubsfotos mit Schwimmärmchen, auf denen aus dem darauffolgenden Jahr an der Ostsee nur auf den Fotos der ersten Woche. Da liegt die Schlussfolgerung nah, dass er in eben jenem Urlaub schwimmen gelernt hat, obwohl ich Stein und Bein schwören könnte, dass es der toskanische Pool war, in dem für das Seepferdchen trainiert wurde. Spektakulär falsch auch die Erinnerung jenes Mannes, der beim Bummel durch Luzern auf der einprägsamen Holzbrücke noch ganz genau wusste, dass er dort mit Frau und Kindern bereits einmal entlang spaziert war. Die Frau war sich sicher, noch nie im Leben in Luzern gewesen zu sein. Nach längerem Grübeln ergab sich: Die Begleitung war nicht die liebreizende Familie, sondern der dickliche Herr Schmitz aus der Buchhaltung und der Aufenthalt beruflicher Natur. Was sagt das nun aus? Über das Gedächtnis des Mannes, die optischen Qualitäten der Frau und den Zustand der Ehe?