?> Die alte weisse Frau wundert sich – Die alte weisse Frau
25. März 2025

Die alte weisse Frau wundert sich

Neulich reiste ich nach Paris. Dort gab es allerhand zu sehen. Merkwürdig gewandete junge Frauen mit feuerroten Baskenmützen und ebensolchem Lippenstift wandelten offensichtlich auf den Spuren von Emily durch die Stadt. In der Gemäldeausstellung wurde gefühlt jedes einzelne impressionistische Meisterwerk fotografiert, anstatt sich kontemplativ darin zu versenken, was bei der Fülle der Besucher zugegebenermaßen schwierig war, oder aber, sich einfach zu freuen, die fabelhaften Bilder einmal im Original zu sehen. Noch wichtiger als die Bilder schien es sowieso, vor der Bahnhofsuhr des Musée d´Orsay ein Selfie zu machen, dann die jeweilige Begleitung vorteilhaft in Szene zu setzen und schließlich auch noch einem Menschen in der Warteschlange, der geduldig darauf wartete, exakt die gleichen originellen Fotos zu machen, sein Handy in die Hand zu drücken, auf das dieser noch eine Aufnahme der ganzen Gesellschaft oder des glücklichen Paares anfertige. Es gab viele Warteschlangen in Paris, vor dem Justizpalast zum Beispiel und einen Moment lang taten mir die jungen Menschen leid, die dort anstehen mussten, war davon doch auf meiner Abiturfahrt – die Gnade der frühen Geburt – noch keine Rede. Da konnte der begleitende Lehrkörper spontan den Zeitpunkt wählen, zu dem er seine giggelnde zwanzigköpfige Mädchenschar in die Sainte Chapelle führte, denn die besichtigt der Connaisseur nur bei Sonnenschein, der wundervollen bunten Fenster wegen. Aber dann entschwand mein Mitleid sehr rasch, fanden sich doch Warteschlangen auch an folgenden Orten: Vor einer leicht schmuddeligen Creperie, von denen es in Paris wahrlich genug gibt, warum es die sein muss – keine Ahnung. Vor dem in die Kuppel hinein ragenden gläsernen Steg in den Galeries Lafayette, um (natürlich) darauf mehr oder weniger gekonnt für Fotos zu posieren, das Personal war gerne behilflich und einen Slot konnte man wohl auch vorab buchen. Vor einem Handtaschengeschäft, die Marke war mir nicht geläufig und ich habe sie leider auch schon wieder vergessen. Vor dem Schriftzug „Paris, je t’aime“, wo man, genau, Fotos machte. Ich liebe dich auch, Paris, du arme gebeutelte Stadt, die sich jeden und jeden Tag mit Scharen solcher Deppen herumschlagen muss. Und die wagen es dann noch zu behaupten, die Pariser seien unfreundlich! Ich wäre das auch.

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