Wer träumte nicht einst von wundervollen Silvesterfeiern! Mit einem Glas Champagner in der Hand auf der Champs Élysée. Oder wenigstens mit Rotkäppchensekt vor dem Brandenburger Tor. In einem hippen Club bei ohrenbetäubender Musik und schweißtreibendem Gehopse auf der überfüllten Tanzfläche, begleitet von diesem oder jenem Shot. Oder zumindest im örtlichen Gemeindezentrum bei eher zweifelhaften Getränken, aber Bombenstimmung. In einer todschicken Bar im kleinen schwarzen Cocktailkleid und korrespondierendem Smoking. Im Abendkleid opernballmässig zu Walzerklängen und Canapees. Im Gourmetrestaurant sich gewissenhaft durch zehn Gänge futternd. Und dann? Sitzt man mit den Nachbarn beim Fondue. Oder beim Raclette. Den kulinarischen Bankrotterklärungen des Abendlandes. Wie zum Teufel konnte das passieren?! Sanft wehen, getragen vom aufsteigenden Fettdunst, Knoblauchfahnen über den Tisch, während man, halb verhungert, ein ums andere Brotstück in den reichlich vorhandenen Fertigdips versenkt und entnervt darauf wartet, dass das Fleisch gar oder der Käse geschmolzen ist. Zuweilen hat der ambitioniertere gastgebende Koch die Dips natürlich selbst gemacht. Ganz individuell. Mit dem Thermomix und Gelinggarantie. Darob schleppt der Abend sich so dahin – die zu Verdauungszwecken gereichten Schnäpse der Marken Kümmerling bis Killepitsch und Unikum machen die Angelegenheit nicht besser – bis womöglich die Gesellschaftsspiele auf den Tisch kommen. Wenn man Pech hat, Monopoly, welches sich ja vor allem gegen Ende zusehends in die Länge zieht. Oder womöglich ein ganz neues Spiel, dessen Regeln zu erfassen einem mit den bleischwer im Magen liegenden Brotklumpen intellektuell einfach unmöglich ist. Gerade als man ernsthaft befürchtet, vor Langeweile vom Stuhl zu fallen, geht es auf Mitternacht zu und die ganze Gesellschaft begibt sich nach draußen. Zu den anderen Nachbarn. Irgendjemand böllert. Mit einem schönen Fläschchen Schloss Auerbach oder Kupferberg Gold wird auf das neue Jahr angestoßen. Gerührt liegt man sich in den Armen und wirklich alle sind restlos glücklich. Weil der Abend vorbei ist.