Das menschliche Gehirn ist ja einfach ein Wunderwerk. Das bestätigt sich bei den seltenen Gelegenheiten, wenn es einem gelungen ist, den kompletten, leider auf dem Küchentisch verbliebenen Einkaufszettel im Supermarkt aus dem Kopf heraus zu rekonstruieren und wirklich an alles zu denken, sogar an die schon mehrfach vergessene Scheuermilch. Großartig. Und dann gibt es auch noch das Phänomen der blitzartig aus irgendwelchen tief verborgenen Synapsen auftauchenden, leider jedoch häufig vollkommen nutzlosen Erinnerungen. Neulich befand ich mich beispielsweise zum Zwecke der Familiengrabpflege in der alten Heimat und auf der Fahrt fiel mir aus heiterem Himmel und ohne, dass ich darüber nachgedacht hätte, die Adresse einer alten Schulfreundin ein, die dort seit ewigen Zeiten nicht mehr wohnt und die ich vollkommen aus dem Auge verloren habe. Wenigstens weiß ich jetzt wieder, dass sie einst in der Reiderstrasse 10 lebte. Fragt sich nur, warum ich das plötzlich erinnere und was mein Gedächtnis sich dabei gedacht hat. Die Kontonummer meiner Mutter übrigens lautete 3204344 und die Telefonnummer 393 und später 6393. Eine schon lange verstorbene Brieffreundin wohnte Nispert Rahmen 1a. Einst befand ich mich in einem Trainingslager im ziemlich unbekannten Rollesbroich. Warum weiß ich so etwas, aber den mir in der gleichen Ära mühsam eingetrichterten Zitronensäurezyklus kann ich meinen Gehirnwindungen nicht einmal in Ansätzen entlocken? Nicht, dass ich mit dieser Information heute viel anfangen könnte. Aber besser als längst verjährte Adressen wäre es doch allemal. Angeblich erinnert man sich ja, je älter man wird, an immer mehr aus grauer Vorzeit. Da bin ich mal gespannt, ob ich demnächst auch wieder alte Postleitzahlen aufsagen kann. Die, die zur Reiderstrasse gehörte zum Beispiel. Dann wäre die Sache wenigstens komplett.